Das Fluidum, das unsere Welt formt

Alle Bestrebungen im Feng Shui zielen darauf ab das Chi zum Fließen zu bringen. Doch was ist Chi? Das Wort stammt aus dem Chinesischen. In modifizierter Aussprache ist der Begriff auch in Korea und Japan gebräuchlich. Die Bedeutung ist jedoch in allen Ländern dieselbe. Der Begriff steht für Atem, Lebensenergie oder Fluidum. Damit folgt er einem Konzept, das in aller Welt bekannt ist. In Indien heißt die Lebensenergie Prana, die alten Griechen kennen sie als Pneuma und die Hebräer als Ruach.

Licht und Schatten

Nach daoistischer Vorstellung bestand das Universum zu Beginn nur aus Chi. Doch mit der Zeit bildeten sich zwei gegensätzliche Energiezustände heraus – bekannt als Yin und Yang. Ein unauflösliches Dual, für das sich viele Entsprechungen finden lassen: empfangen und geben, passiv und aktiv oder weiblich und männlich. Ursprünglich jedoch bedeutet Yin und Yang “die schattige und die sonnige Seite eines Berges”. Ein Ausdruck, der die Relativität der beiden Energieformen versinnbildlicht. Die Bandbreite reicht von sonnig über leicht verschattet bis zu absolut verschattet. Aber auch sonnig und leicht schattig bilden schon ein Gegensatzpaar, weil es unzählige Nuancen in der Lichtintensität gibt. Auch steht das Sinnbild für die Veränderlichkeit der beiden Seinszustände. Denn bekanntlich wandert die Sonne und was am Morgen noch im Licht war, liegt am Abend im Schatten.

Das fünfte Element

Chi hat neben der Bedeutung von Lebensenergie und Atem auch die Bedeutung von Äther. Im Weltbild des Aristoteles stellte es neben den vier irdischen Elementen Feuer, Erde, Wasser, Luft das fünfte “Element” dar, das gänzlich andere Eigenschaften besitzt als die vorgenannten. Der griechische Philosoph beschrieb es als “masselose, unveränderliche, ewige Substanz jenseits der Mondsphäre”.

Für mich ergeben sich hier Analogien zur Quantenfeldtheorie. Der Äther entspricht dem sogenannten Feld und die vier irdischen Elemente den energetischen Teilchen. Die Quantenphysiker definieren das Feld als ein überall im Raum gegenwärtiges Kontinuum, worin Materie als diskontinuierliche “körnige” Struktur – sprich als Störfaktor – auftritt.

Tau als Metapher

Erstaunlicher Weise entwickelten die Neo-Konfuzianer um 1000 n. Chr. eine ganz ähnliche Theorie zum Chi. Darin wird Chi als dünne, nicht wahrnehmbare Form von Materie aufgefasst, die im gesamten Raum vorhanden ist und sich zu festen Objekten verdichten kann.

Am Prozess der Taubildung wird diese Idee für mich verständlich. Unsere Atmosphäre ist mit Wasserdampf gefüllt. Wie viel die Luft an Wasserteilchen aufnehmen kann, hängt dabei maßgeblich von der Temperatur ab. Mit steigender Temperatur steigt auch der Sättigungsgrad. Solange die Sättigung nicht erreicht ist, bleibt der Wasserdampf für uns unsichtbar und unfühlbar. Fällt jedoch die Temperatur sinkt auch der Sättigungsgrad, d.h. das Zuviel an Wassermolekülen muss ausgefällt werden. Es kommt zur Tröpfchenbildung, die wir als Tau oder Nebel wahrnehmen können. Steigt die Temperatur wieder an, nehmen die Wassermoleküle wieder ihren gasförmigen Aggregatzustand an und werden wieder unsichtbar.

Chi definiert sich für mich also folgendermaßen: Es ist die “Substanz”, aus der das Universum sowohl in physischer als auch in geistiger Hinsicht besteht, ohne jedoch das eine oder andere zu sein. Und gleichzeitig ist Chi der alles durchdringende Atem, der mit seinem konstanten Rhythmus von Ein und Aus – also dem Pendeln zwischen zweigegensätzlichen Maximalzuständen – das Universum am Leben erhält.