Die vielfältigen Richtungen der chinesischen Harmonielehre

Mittlerweile dürfte jede / r in unserem Kulturraum einmal mit der chinesischen Harmonielehre in Berührung gekommen sein. Meist ist dann vom Klassischen Feng Shui die Rede. Aber das “Klassische Feng Shui” gibt es so gar nicht. Genauso wenig die weitverbreitet Ansicht, dass es sich bei der Lehre lediglich um fernöstliche Einrichtungstipps handelt. Im folgenden Beitrag gebe ich Euch einen (sehr) kurzen Einblick in die unterschiedlichen Ausprägungen.

Feng Shui war ursprünglich eine chinesische Geheimlehre, die von Meistern an ihre Schüler weitergegeben wurde. Deshalb ergeben sich zwangsläufig große regionale Unterschiede. Grundsätzlich können die vielfältigen Schulen zu drei Grundströmungen zusammengefasst werden: zur Formschule, zur Kompass-Schule und zum Kan Yu.

Formschule (Xíng Shì Pài)

Diese Strömung ist im bergigen Süden von China entstanden. Ihre Regeln wurden aus der Beobachtung der Landschaft entwickelt. So sollte ein Haus gemeinhin nach vorne einen freien Blick haben. Von den Seiten sollte es dagegen durch Bäume und von hinten durch Hügel geschützt sein.

Die Prinzipien der Formschule lassen sich auch auf das Innere eines Hauses übertragen. Zudem sind ihre Regeln relativ leicht zu verstehen. Deshalb ist die Formschule heute in Europa und in Amerika so beliebt. Sie bildet aber auch die Basis für die im flachen und oft windigen Norden Chinas entwickelt Kompass-Schule.

Kompass-Schule (Lǐ Qì Pài)

Hauptaugenmerk dieser Strömung liegt auf den Himmelsrichtungen und deren unterschiedlichen energetischen Eigenschaften, die die alten Chinesen durch jahrhundertlange Naturbeobachtung zusammengetragen haben. Die Kompass-Schule teilt die Räume eines Hauses je nach Funktion einer bestimmten Himmelsrichtung zu.

Zum Beispiel steht der Norden auf der nördlichen Halbkugel für Schatten und Kühle. Er wird aber auch mit dem Winter assoziiert und steht somit für die Regenerationsphase, in der sich alles in sich zurückzieht, um Kraft für das nächste Jahr zu sammeln. Deshalb wird im Norden das Schlafzimmer angeordnet, während das lebendige Wohnzimmer im Süden des Hauses zu finden ist.

Wichtigstes Arbeitsmittel dieser Richtung ist der namensgebende Lo Pan-Kompass. Die Lehre ist komplex, weil viele Berechnungen angestellt werden müssen. Überdies eignet sie sich eher für größere Bauprojekte und Siedlungen. Aus diesem Grund wird die Kompass-Schule hauptsächlich in Asien verwendet.

Historischer Hintergrund

Feng Shui ist eng mit der chinesischen Philosophie verbunden. Wesentliche Grundzüge finden sich bereits im Yijing (veraltete Schreibweise: I Ging), das um 770 v. Chr. entstand und zu deutsch “Buch der Wandlungen” heißt. Das Buch ist ein wichtiges schriftliches Zeugnis aus der Zeit, in der sich der Daoismus entwickelte.

Im Zentrum dieser Philosophie / Religion steht das namesgebende Dao. Seine ursprüngliche Bedeutung ist “Weg”. Doch die alten Chinesen verstanden bereits damals schon „Methode“, „Prinzip“ oder „der rechte Weg“ darunter. Bei Laozi (alte Schreibweise Laotse) nimmt der Begriff des Dao die Bedeutung eines der ganzen Welt zugrunde liegenden, alldurchdringenden Prinzips an. Es ist die höchste Wirklichkeit und das höchste Mysterium, die uranfängliche Einheit, das kosmische Gesetz und Absolute. (Vergleichbar mit dem hinduistischen Brahman.) Dem Daoismus verdanken wir auch die Konzepte von Chi und Yin und Yang.

Die Philosophie ist jedoch nur der intellektuelle Überbau. Wissenschaftler vermuten, dass sich die Grundzüge des Feng Shui vor etwa 6000 Jahren entwickelten und ursprünglich dazu dienten einen optimalen Bestattungsplatz zu finden. In China glaubt man, dass die Seelen der Verstorbenen auch über den Tod hinaus mit den Nachkommen in Verbindung stehen. Nach den Vorstellungen der Chinesen sorgt gutes Feng Shui dafür, dass die Energie positiv gestimmter Ahnen das irdische Glück der Nachkommen mehrt. Und hier kommen wir zur dritten Richtung – viele sagen auch zur ursprünglichen Lehre.

Kan Yu

Übersetzt heißt Kan Yu “Der Weg des Himmels und der Erde”. Es wurde / wird in Asien hauptsächlich von Priestern oder Mönchen ausgeübt. Bei dieser spirituellen Richtung arbeitet man mit den Energien auf den nichtphysischen Ebenen. Auf diesem Weg werden Gebäude oder Grundstücke von spirituellen Belastungen und Wesenheiten befreit sowie deren Energiefeld gestärkt. (Wie eine energetische Raumheilung genau durchgeführt wird, lesen Sie hier.) Die energetischen Veränderungen wirken sich einerseits positiv auf das Empfinden der Bewohner aus, andererseits können Feng-Shui-Maßnahmen der zuvor erwähnten Strömungen oft erst jetzt ihre ganze Wirkung entfalten. Daher finden sich auch in den vermeintlich rationalen Form- und Kompass-Schulen spirituelle Elemente.

Bildnachweis:
gold and silver pendant lamps: Anton Darius on Unsplash
Interessante Quellen:
Feng Shui heute von Th. Fröhlich und K. Martin, erschienen 2003 bei Mosaik Goldmann Verlag
www.everyday-feng-shui.de/die-verschiedenen-schulen-des-feng-shui
www.polia-feng-shui.de/feng-shui
www.sun-dragon.de/geschichte-des-feng-shui