Quintessenz der Schöpfungs- und Opfermythen aus aller Welt

Feng Shui ist der fernöstliche Name einer uralten Lehre, die global unter den verschiedensten Namen praktiziert wurde und wird. Bei allen Spielarten geht es um die Beachtung und Anwendung der kosmischen Gesetze. Diese sind eng mit den Schöpfungs- und Opfermythen der Völker verbunden. So unterschiedlich die Mythen auch sind, so verfügen sie alle über einen gemeinsamen Kern.

​Stets beginnt der Schöpfungsprozess in einer dunklen, gestalt- und zeitlosen Umgebung. Dieser unbegrenzte Raum ist gefüllt mit einem flüssigen Urstoff, in dem bereits alle Informationen gespeichert sind. Dieser Urstoff wurde zu einem unbestimmten Moment “angedreht” und ist in ständiger, chaotischer Bewegung.

Unsere auditiv geprägten Vorfahren verwendeten für diese Bewegungen Begriffe wie Klang oder Wort. Heute benutzen wir physikalische Termini wie Welle oder Schwingung.

Erwachen & Schöpfung

In den meisten Schöpfungsmythen gibt es eine sogenannte Phase der Morgenröte oder des Erwachens aus dem Tiefschlaf. Ich interpretiere es, als die Anbahnung einer stehenden Welle – vergleichbar mit einer in Schwingung versetzten Gitarren- oder Violinensaite. Im Zeitraffer sehen die hinlaufende Welle und die zurücklaufende Welle, wenn sie aufeinandertreffen, wie eine Reihe von offenen Augen oder Mündern aus. Letztere sollte man wörtlich nehmen, denn in vielen Erzählungen tut sich der Schöpfergott oder -göttin nach seiner / ihrer Schaffung mit einem (Geburts-)Schrei, Wort oder Befehl kund.

Dies ist auch der Augenblick, in dem Licht ins Dunkel kommt. Und es beginnt ein Prozess, in dem sich das schwingende Bewegende zu verfestigen beginnt. In vielen Mythen tritt diese Verfestigung in Form eines Urhügels in Erscheinung, der aus dem Urchaos aufsteigt.

Prinzip der Dualität

Mit dem Schöpfungsakt beginnt aber auch der Kampf des dunklen, ursprünglichen Nichtfassbaren gegen das lichte, gestaltet Feste – oder das Mehrdeutige gegen das Eindeutige. Und stets ringt das Lichte der dunklen Seite Siege ab. Der Kampf kann von ihm jedoch nie gewonnen werden, da es aus dem Dunklen geboren wurde und somit ein Teil von ihm ist.

Mit jedem weiteren Sieg des Lichten und Begreifbaren steigt auch der Grad der Ausdifferenzierung. Dieser Prozess lässt sich wie beim Näherungswert der Kreiszahl Pi bis ins Unendliche treiben und doch ist Pi nie ganz erfassbar.

Irgendwann jedoch ist der (Zeit-)Punkt gekommen, an dem der Kosmos in winzige Facetten aufgespalten ist, die alle einen Teil seines ursprünglichen Wesens enthalten. Er hat sich in eine starre kristalline Struktur verwandelt.

Sprache des Opfers

Das vedische Rigveda bezeichnet jenen Zustand als den “Weg der Zerstreuung”. Dem gegenüber steht die sogenannte Sprache des Opfers. Hier geht es darum eine Wende zu vollziehen. Es findet eine “Drehung nach innen” statt, hin zum ursprünglichen und finalen “effizienten Moment” des Opfers.

In jeder Kultur gibt es Opfermythen in dem der Protagonist vor die Entscheidung gestellt, wird ein Opfer zu bringen oder sich selber zu opfern. Dabei scheint es nicht darauf anzukommen, was und wie geopfert wird – sondern, ob es ein Akt aus (Nächsten-)Liebe ist. Ist dem so, geht der / das Geopferte in die Unendlichkeit ein und wird unsterblich. Gleichzeitig erfährt die Welt Heilung und das Dunkle / Unfassbare gibt sein bis dato verdecktes Licht preis. Sprich, es kommt zum Augenblick der Erkenntnis.

Seht Ihr die Parallelen zum Feng Shui? Alle Maßnahmen dienen dem Zweck, das Verfestigte oder Stagnierende wieder in Fluss zu bringen. Es gilt, sich der Urschwingung wieder anzunähern.

Bildnachweis:
Auge mit Wolkenkratzern: Lars Nissen auf Pixabay
Schwimmende Insel: 0fjd125gk87 auf Pixabay