Winterbeginn – Fest der Seelen und Neuanfang

Seit jeher unterteilen wir das Jahr in Abschnitte. Rund um die Wendepunkte werden weltweit zahlreiche Feste gefeiert. In unserem Kulturkreis kennen die meisten die 4 Sonnenwendfeiern, welche die kalendarischen Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter einleiten. Weniger bekannt hingegen sind die vier (keltischen) Mondfeste Imbolc, Belteine, Lughnasadh und Samhain, die zwischen den markanten Sonnenständen liegen. Im 8. Teil meiner Reihe soll es um den paganen Winterbeginn Samhain – besser bekannt als Halloween – gehen.

Bei unseren Vorfahren stellten die Sonnenwendfeiern jeweils den Höhepunkt einer Jahreszeit da. Folglich müssen deren Anfänge auf der Hälfte zwischen zwei Sonnenfesten liegen. Rein rechnerisch sind das 45 – 46 Tage. Im Falle von Samhain müsste das Fest am 6. oder 7. November gefeiert werden. Weil der Sonnenstand in dieser Zeit keinen besonderen Anhaltspunkt bietet, orientierten sich bäuerlichen Gesellschaften in Europa am Mond bzw. an dessen Phasen. So soll das Fest entweder während des 11. Vollmondes oder des 11. Neumonds nach der Wintersonnenwende gefeiert worden sein.

Mit dem Einzug des grauen Herbstes Anfang November wird es merklich ruhiger auf der Nordhalbkugel. Die letzen Blätter fallen von den Bäumen, abends ist es neblig und morgens liegt Raureif auf den Wiesen und es wird still im Land. Im Feng Shui wird die Jahreszeit des Rückzugs dem Element Metall zugeordnet. Aber selbst das möchte gefeiert werden. Die Feierlichkeiten rund um den bäuerlichen Winterbeginn haben mehrere Ebenen.

​Bilanz ziehen und gemeinsam die Erträge feiern

Beginnen wir mit der Weltlichen. Ende Oktober / Anfang November endet in der Regel die Erntesaison. Nun ist die Zeit für Bestandsaufnahmen. Wie viel Korn, wie viele Früchte wurden geerntet? War es ein gutes oder ein schlechtes Jahr?
Traditionell wurden in dieser Zeit die Steuern bzw. der Zehnte eingezogen. Dies geschah an zentralen Orten, die dann gleich für Versammlungszwecke genutzt wurden. Und wo die Menschen in früheren Zeiten schon einmal zusammen kamen, wurde gefeiert. Deshalb gilt Samhain als das 3. Erntefest des Jahres.

Ein Beispiel für ein spätes Erntedankfest ist das amerikanische Thanksgiving. Gewöhnlich wird das Familienfest in den USA am 4. Donnerstag im November gefeiert. Der Legende nach sollen die amerikanischen Pilgerväter im Bundesstaat Massachusetts zusammen mit den einheimischen Wampanoag im Herbst 1621 ein dreitägiges Erntedankfest gefeiert haben.

Allerdings gibt es keine historischen Belege für das ursprüngliche Fest und das heutige Datum wurde erst 1941 vom amerikanischen Kongress festgelegt. In Kanada wird Thanksgiving traditionell am 2. Montag im Oktober gefeiert. Das ursprüngliche Datum war jedoch der 6. November.

​Samhain – Fest der Ahnen

Die zweite Ebene ist die Spirituelle. In den Vorstellungen der Kelten übergab die Muttergöttin Modron den Staffelstab an die greise Göttin Cailleach. Beide sind Teil der dreifaltigen Göttin Brigid, Modron & Cailleach, die den Jahreskreislauf verkörpern. In anderen Regionen Europa sind die drei Damen als Nornen, Zorya, Parzen oder Moiren bekannt. Cailleach gilt als verschleierte Hexe, weise alte Frau, Seherin, Herrscherin über die Dunkelheit und Totenfrau.

Aus diesen Grund wundert es nicht, dass an Samhain die Verstorbenen geehrt werden. Und wie zu Beltane und Mittsommer sollen die Schleier zu den Anderswelten – insbesondere zur Unterwelt – in diesen Tagen sehr dünn sein. Deshalb stellten unsere keltisch-germanischen Vorfahren kleine Opfergaben für die Ahnen, die in dieser Nacht auf der Erde wandeln, vor ihre Häuser.

Assimilation durch die Kirche

Weil diese Tradition, besonders in Irland, wo sich die keltische Kultur am längsten erhalten hatte, so verankert und verbreitet war, legte die irische Kirche Ende des 8. Jahrhunderts den Feiertag Allerheiligen auf den 1. November. Dank der irisch-schottischen Missionare verbreitet sich das Datum des Kirchenfestes allmählich in der gesamten Westkirche. Etwa 2 Jahrhunderte später führte der Abt Odilo von Cluny den Feiertag Allerseelen ein. An Allerseelen gedenken die Anhänger der römisch-katholischen Kirche mittels Gebet und Fürbitte ihrer verstorbenen Verwandten.

Mit den Eroberungen der Europäer gelangten die Bräuche rund um den bäuerlichen Winterbeginn auf den amerikanischen Kontinent. Die bekanntesten Feste dort sind Halloween in den Vereinigten Staaten und der Día de los Muertos in Mexiko.

​Halloween

Der Name Halloween ist eine Verballhornung von All Hallows’ Eve, was auf Deutsch „Aller Heiligen Abend“ heißt. Wie in der Walpurgisnacht beginnen auch hier die Feierlichkeiten in der Nacht vor Allerheiligen. Die Umzüge von Kindern in Gruselkostümen, die Süßes verlangen oder Saures androhen, gehen hauptsächlich auf irische Einflüsse zurück. Aber auch in Teilen Mitteleuropas kennt mensch solche Kinderumzüge zu Allerheiligen. Hier steht jedoch das Sammeln von Spenden im Vordergrund. Auch das Aufstellen von geschnitzten Kürbissen hat seinen Ursprung in Europa. Früher wurden die Fratzen jedoch in Rüben geschnitzt und vor den Häusern aufgestellt. Sie sollten die Geister der Toten abschrecken.

Halloween ist auch die Zeit, in der Hollywood Grusel- und Horrorfilme in die Kinos bringt. Auffällig viele junge, gut aussehende Menschen verlieren darin – oft auf sehr grausige Weise – ihr Leben. Das lässt in mir die Frage aufkeimen, ob es sich dabei nicht um die moderne Form von Menschenopfer handelt? Aus der Archäologie ist bekannt, dass Menschenopfer nicht nur in Europa praktiziert worden. Und handelt es sich bei den Heiligen, die am 1. November verehrt werden nicht auch um (Selbst-)Opfer, die für ihren Glauben gestorben sind?

​Día de los Muertos

Am selben Tag beginnen die Feierlichkeiten zum Día de los Muertos, die am 2. November ihren Höhepunkt finden. Obwohl es dank der zahlreichen Totenkopfdekorationen einen gruselig-morbiden Charme versprüht, ist es ein freudiges Familienfest. In der Vorstellung der Mexikaner sind die Verstorbenen keine bösen Geister, die besänftigt werden wollen, sondern weitergezogene Verwandte, die einmal im Jahr ins Diesseits zurückkehren.

Folglich werden in Mexiko keine Mühen gescheut, es ihnen so schön wie möglich zu machen. So werden für die verstorbenen Verwandten in den Wohnungen Altäre errichtet. Bilder zeigen die bereits Weitergezogenen. Geschmückt sind die Altäre mit Blumen, Kerzen, Girlanden und Zuckerwerk in Totenkopfform. In der Nacht von Allerheiligen zu Allerseelen finden vielerorts ausgelassene Umzüge statt und am 2. November kommen die Familien auf Friedhöfen zusammen, um an den Gräbern ausgiebig zu tafeln.

Der Día de los Muertos ist eine Verschmelzung spanischer und aztekischer Traditionen. Interessanterweise fiel der Tag der Toten bei den Azteken in den Zeitraum zwischen Ende Juli und Anfang August; also in die Zeit, in der das Schnitterfest Lughnasad gefeiert wird! Erst mit der Christianisierung durch die Spanier im 16. und 17. Jahrhundert wurde das Fest auf das heutige Datum verschoben.

​Neujahrsfeuer im verkappten Gewand

Trotz der vielen Rituale für die Toten gilt Samhain als Neujahrsfest. Denn in der Erde schlummert der Keim, aus dem im nächsten Jahr das neue Leben erwächst. Begrüßt wurde es – wie bei allen Jahreskreisfesten – mit einem großen Feuer.

Beabsichtigt oder nicht löste Martin Luther mit seinen 95 Thesen, die er am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt haben soll, eine Revolution des christlichen Glaubens aus. In seinen Diskussionspapier prangerte er vor allem den Ablasshandel des Papstes durch das Schüren von Angst vor dem Fegefeuer an. Bekannterweise mündeten die Ereignisse von Wittenberg im 30-jährigen Krieg. Aber auch in anderen Teilen Europas kam es zu jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken.

So sei hier der Gunpowder Plot genannt, bei dem katholische Verschwörer zur Parlamentseröffnung in Westminster am 5. November 1605 versuchten den protestantischen König von England, Jakob I., zu töten. Das Attentat wurde vereitelt und die Verschwörer wurden hingerichtet. In England wird die Vereitelung der Pulververschwörung am 5. November unter dem Namen „Bonfire Night“ gefeiert. Dabei wird eine Strohpuppe verbrannt, die an Guy Fawkes, den Sprengstoffexperten der Attentäter, erinnern soll.

​Maskierter Widerstand von unten

Eine Rehabilitierung erfuhr Guy Fawkes in der 1982 erschienen Graphic Novel V wie Vendetta, die 2005 erfolgreich verfilmt wurde. Die Geschichte spielt in einem fiktiven England von 1997, in dem nach einem dritten Weltkrieg eine faschistische Partei die Macht übernommen hat, die von der titelgebenden Figur V, einem mit Guy-Fawkes-Maske verkleideten Anarchisten und Terroristen, im Alleingang bekämpft wird. Zentrales Thema ist die selbstbestimmte Freiheit des Individuums und der Gesellschaft sowie der Gegensatz zwischen Freiheit und Macht.

Daher verwundert es nicht, dass die Maske mit dem markanten Ziegenbart von Gruppen getragen wird, die das hohe Gut der Freiheit in Gefahr sehen. Genannt seien hier das Internetkollektiv Anonymous, die Occupy-Wall-Street-Bewegung aber auch die Menschen, die sich gegen das Corona-Diktat und die Kriege in der Ukraine und Israel / Palästina zur Wehr setzen.

Widerstand von unten hat es schwer. Aber er ist nicht aussichtslos, wie der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 zeigt.

 

Liebe Leserinnen und Leser,

danke, dass ihr mich durch die Reihe der Jahreskreisfeste begleitet habt. Ich hoffe, der Ritt über die Nordhalbkugel und durch die Zeiten hat Euch genauso viele neue Erkenntnisse gebracht wie mir. Natürlich konnte ich hier nur Ausschnitte zeigen, aber, ich denke, es ist ersichtlich geworden, welchen Einfluss die Jahreskreisfeste noch auf unser modernes Leben haben. Gerne hätte ich Euch auch etwas über Jahresfeiern auf der Südhalbkugel berichtet. Doch das bedarf intensiverer Recherchen jenseits des Internets. Oder habt ihr Wissen darüber, das ihr mit mir teilen möchtet? Dann schreibt es mir in die Kommentare.

Herzliche Grüße

Eure Claudia